Schon in der frühen Embryonalphase bildet sich in mehreren Phasen unser Herz. Selten kommt es zu einer Verlagerung der Organe im Körper. Etwa eins von 15.000 Neugeborenen ist davon betroffen. Im günstigen Fall haben sich die Organe dann einfach spiegelverkehrt angeordnet, ohne dass große gesundheitliche Probleme zu erwarten sind. Gerät die Anordnung der Organe jedoch völlig durcheinander, entwickelt sich eine sogenannte Heterotaxie: Die betroffenen Neugeborenen haben oft schwere Herzfehler.
Störfall in den „Zellkraftwerken“?
Dafür, dass das Herz und die Organe am jeweils „richtigen Fleck“ und damit asymmetrisch zueinander im Körper angelegt sind, sorgen im Embryonalstadium winzige „Antennen“ auf der Zelloberfläche. Nach derzeitigem Forschungsstand regulieren diese sogenannten Zilien schon in der frühen Embryonalphase die Anordnung der Organe. Im Rahmen einer langjährigen Studie in Kooperation mit dem Kompetenznetz Angeborene Herzfehler fand ein internationales Forscherteam um Prof. Dr. Melanie Philipp und PD Dr. Martin Burkhalter entscheidende Hinweise darauf, dass die Bildung der Zilien durch die Mitochondrien in den Körperzellen beeinflusst wird. Damit scheinen die nur wenige Mikrometer langen „Zellkraftwerke“ an der Entstehung des Durcheinanders der Organe beteiligt zu sein. Als solche werden die Mitochondrien bezeichnet, weil sie die Zellen mit Energie versorgen.
Die Wissenschaftler konnten feststellen, dass die Blutzellen von Heterotaxie-Patienten eine deutlich geringere Anzahl an Mitochondrien aufweisen als die von gesunden Probenspendern. Darüber hinaus stießen sie bei den Betroffenen häufiger auf besondere Genmutationen, die zu einer Störung der Funktion der Mitochondrien führen. Ein Teil der untersuchten Proben stammte von Teilnehmern des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler. Die Verarbeitung und Lagerung der Proben aus dem Nationalen Register sowie die DNA-Isolierung erfolgt durch die Zentrale Biobank Charité (ZeBanC).
Brücke zwischen „Antennen“ und „Kraftwerk“
Aber wie wirken die Aktivitäten der Zilien und der Mitochondrien bei einer solchen Fehlbildung genau zusammen? Unter dem Elektronenmikroskop konnten die Forscher tatsächlich einen physischen Zusammenhang zwischen den „Antennen“ und den „Kraftwerken“ entdecken. „Man muss sich das vorstellen wie eine kleine Brücke. Sie besteht aus röhrenförmigen Proteingebilden, so genannten Mikrotubuli“, beschreibt Melanie Philipp das Bild, das sich den Forschern zeigte.
Gestörtes „GPS“
Zugleich fanden die Wissenschaftler bei der Analyse der DNA-Proben von Heterotaxie-Patienten und bei den Untersuchungen am Tiermodell einen weiteren entscheidenden Hinweis. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Länge der antennenartigen Zilien von den „Zellkraftwerken“ beeinflusst wird: Bei geringerer Mitochondrienfunktion wiesen die Zelloberflächen längere Zilien auf. Deren Funktionstüchtigkeit war gegenüber den „gesunden“ Zilien deutlich eingeschränkt. „Alles deutet darauf hin, dass erst das Zusammenspiel von Mitochondrien und Zilien eine Art körpereigenes GPS für die Anordnung der Organe bildet. Bei der Bildung einer Organverlagerung sind während der Embryonalentwicklung offenkundig genetisch bedingt fehlgeleitete biochemische Kommunikationsprozesse im Spiel, die noch vor der Bildung des Herzens einen fatalen Einfluss auf die Entwicklung und Anordnung der Organe ausüben“, fasst der Biologe Martin Burkhalter von der Universität Tübingen die Schlussfolgerungen des Forscherteams zusammen.
Zukunftweisend für Diagnostik und Behandlung
Die Forscher gehen davon aus, dass ihre Erkenntnisse die Diagnostik von Organverlagerungen und ihren Folgeerkrankungen vereinfachen könnten. Langfristig dürfte das auch zu verbesserten Behandlungsmöglichkeiten beitragen: „Bisher haben wir erblich bedingte Erkrankungen lediglich funktionsuntüchtigen Zilien zuordnen können. Jetzt wissen wir, dass die Mitochondrien ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. Damit können wir uns in Forschung und Entwicklung auch der gezielten Herstellung der Funktionsfähigkeit der Mitochondrien zuwenden“, so Martin Burkhalter. Für die Behandlung der Heterotaxie ebenso wie für die Behandlung weiterer erblich bedingter Erkrankungen könnte diese Entdeckung ein entscheidender Schlüssel sein.
Kooperation mit der Zentralen Biobank Charité (ZeBanC)
Für aussagefähige Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler und der im Kindes- und Jugendalter diagnostizierten Herzerkrankungen benötigen Wissenschaftler geeignete Bioproben (zum Beispiel Blut oder Gewebe). Das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler arbeitet eng mit der ZeBanC zusammen – hier werden die Proben von mehr als 8.000 Spendern nach höchsten wissenschaftlichen Standards und unter ISO-zertifizierten Rahmenbedingungen einheitlich erfasst, verarbeitet und gelagert.
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